TIN/Usenet die Zwote
Nachdem ich im letzten Artikel eine Einfuehrung gegeben habe, geht's
jetzt an's Eingemachte. Allerdings soll es nicht nur um technische
Dinge und tin-Details gehen, sondern auch rund um's Usenet.
Gewalt im CyberSpace: Kill-files
Wer sich seit dem letzten Artikel bereits etwas durch die
verschiedenen Usenet-Gruppen gewuehlt hat, ist sicherlich auch schon
auf weniger erfreuliche Zeitgenossen gestossen. Sei es, weil sie den
eigenen Lieblingscomputer nicht moegen, weil sie taeglich eine
unueberschaubare Menge von nutzlosen Artikeln verbreiten, oder weil
man sie aus sonst einem Grund nicht mag. Dagegen gibt es eine einfache
Abhilfe: Das sogenannte Kill-File. In ihm stehen Patterns und
Adressen, die tin dazu veranlassen, Artikel, die im Titel diese
Pattern enthalten oder von diesen Adressen abgeschickt wurden, erst
gar nicht mehr anzuzeigen. Man macht von dieser Moeglichkeit Gebrauch,
indem man beim Lesen eines Artikels '^k' (control-k) eingibt. Im dann
erscheinenden Menu kann man verschiedene Dinge genauer festlegen. Mit
dem "Kill type" gibt man an, ob man die gematchten Artikel killen
(oder humaner: ignorieren) oder gerade das Gegenteil (Artikel
automatisch mit einem '*' versehen) moechte. Die zweite Moeglichkeit
erlaubt es einem, besonders wichtige Artikel leichter zu finden
(vorausgesetzt, man kennt den Absender oder einen Teil des Titels, wie
zum Beispiel "ANNOUNCEMENT"). Der Rest des Menus sollte fuer
fortgeschrittene tin-Benutzer eigentlich gut verstaendlich sein.
Im File ~/.tin/tinrc laesst sich mit dem Parameter "kill_level"
zusaetzlich festlegen, ob einem tin gekillte Artikel ganz vorenthalten
soll, oder ob er sie nur als bereits gelesen markiert.
Gegen ganz besonders aufdringliche Missbraucher des Usenet wird
mittlerweile bereits systematisch vorgegangen, sodass man sich kaum
mehr um sie zu kuemmern braucht. Doch dazu spaeter mehr.
Kommando zurueck: Cancel
Manchmal passiert es einem, dass man einen Fehler in einem
selbstgeschriebenen Artikel erst nach dem Abschicken bemerkt (es ist
wie mit der Software: Die schlimmsten Bugs werden erst nachdem der
Verkauf bereits begonnen hat entdeckt). Kein Grund zur Panik, dies
laesst sich auch noch nachtraeglich rueckgaengig machen. Doch auch
hier gilt: Je schneller, desto besser. Das Loeschen geschieht naemlich
in Form eines speziellen Control-Artikels, der jedem Newsserver, den
er passiert, andeutet, dass der gecancelte Artikel nicht
weiterverbreitet und insbesondere auch lokal geloescht werden
soll. Dies geht natuerlich am besten, wenn der Artikel den lokalen
Newsserver noch gar nicht verlassen hat. Aber auch wenn er bereits um
die ganze Welt gegangen ist, laesst er sich auf diese Art wieder
diskret zum verschwinden bringen. In tin macht man dies durch die
Eingabe eines 'D' beim Lesen des fehlerhaften (selbstgeschriebenen!)
Artikels.
News mit Mass: Moderierte Gruppen
Es gibt einige Gruppen, in denen nur bestimmte Dinge geschrieben
werden sollen. In vielen comp.sys.*-Hierarchien zum Beispiel
existieren *.announce-Gruppen, in denen nur wichtige Ankuendigungen
erscheinen sollen, oder es gibt Witz-Gruppen, die keine schmutzigen
Witze erwuenscht sind (natuerlich gibt es auch das Gegenteil...). Um
dies sicherzustellen, sind diese Gruppen moderiert. Dies geht so vor
sich, dass abzuschickende Artikel nicht an den Newsserver gehen,
sondern direkt an den oder die Moderator(en) gemailt werden und nach
einer Kontrolle des Inhalts durch diese in's Netz abgeschickt
werden. Ist eine Gruppe moderiert, weist einem tin vor dem schreiben
eines Artikels darauf hin und fragt, ob man trotzdem weitermachen
moechte. In moderierten Gruppen werden vom Moderator meist alle ein
bis zwei Wochen die gueltigen Regeln der Gruppe verschickt.
Spams
Auf genau diese Art wird uebrigens auch gegen sogenannte spams
vorgegangen. Spams sind Artikel, die wiederholt in Newsgroups
verschickt werden, wo sie nicht hingehoeren. Das Standardbeispiel
eines Spams sind die "MAKE MONEY FAST"-Kettenbriefe, die zum Teil in
allen erreichbaren Usenet-Gruppen verschickt wurden und entsprechende
Proteste ausgeloest haben. Mittlerweile gibt es Leute und auch bereits
Programme (Cancelbots), die solche missbraeuchlichen Artikel suchen
(die Programme erkennen sie zum Teil automatisch) und canceln, sodass
wir sie haeufig erst gar nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Die aeusserst negativen Folgen eines massiven Spams hat uebrigens ein
amerikanisches Anwaltsbuero erfahren. Die vermeintlich klugen Anwaelte
hatten eine Werbung fuer sich selbst in allen erreichbaren Gruppen
einzeln (!) verschickt, insgesamt ueber 5000 Mal. Zusaetzlich hatten
sie die Header ihrer Artikel noch verfaelscht, sodass nicht so
erfahrene Netzbenuetzer auf einen anderen Absender haetten schliessen
koennen und ihre Artikel selbst in moderierten Gruppen erschienen, was
den Spam noch zusaetlich verschlimmerte. Kurz darauf war der Anschluss
ihres Netzwerkanbieters total ueberlastet, weil weltweit tausende
Benutzer Protestbriefe und Mailbombs (auch nicht gerade die feine
englische Art) verschickten. Ebenso lahmgelegt waren Telefon- und
Fax-Anschluesse des Bueros. Zwei Tage spaeter hatten die Netzanbieter
definitiv die Nase voll und zogen den Netzstecker. Das interessante an
der Geschichte ist aber, das ebendieses Anwaltsbuero fast das selbe
schoneinmal mit aehnlichem Erfolg versucht hatte (der "GREEN
CARD"-Spam) und daraufhin ein Buch ueber erfolgreiches Werben im
Internet veroeffentlicht hat. Manche lernen's eben nie...
Wer mehr ueber das Thema wissen moechte, schaue sich die Gruppen
news.admin.net-abuse.announce und news.admin.net-abuse.misc einmal
genauer an.
Groessere Artenvielfalt: Mehrere Newsserver
Einigen von Euch ist es vielleicht schon stoeren aufgefallen, die
anderen haben es noch gar nicht bemerkt und wieder anderen ist es
schlicht egal: Auf dem fuer die rifrafs gueltigen Newsserver (neptune)
sind nicht alle Gruppen erhaeltlich (insbesondere die von gewissen
Boulevard-Medien so aufgeilend dargestellten Erotik-Gruppen). Dies
soll nun aber kein Aufruf sein, sich das Zeug anderswo per News holen
zu gehen, denn fuer unbeschraenkte Bildermengen eignen sich CDs bei
weitem besser. Fehlt einem trotzdem ausgerechnet die wichtigste
Gruppe, so kann man dies umgehen, in dem man einen Newsserver in der
Naehe aussucht, der eine groessere Auswahl anbietet. Um den neuen
Newsserver zu verwenden, muss man vor dem Starten von tin die
environment-Variable NNTPSERVER neu definieren (siehe ersten
tin-Artikel). Aber Achtung! Wenn man jetzt tin ganz normal startet,
verwendet er standardmaessig das File ~/.newsrc um die fuer den
Benutzer interessanten Gruppen zu finden und um zu erkennen, welche
Artikel bereits gelesen wurden. Da man nun aber einen anderen
Newsserver benutzt und die Nummerierung der Artikel von Server zu
Server unterschiedlich ist, fuehrt das unweigerlich zu einem
Chaos. Abhilfe schafft hier ein neues newsrc-File, welches man
speziell fuer diesen Server verwendet. Neu muss man tin wie folgt
starten:
rtin -f newsfile
also zum Beispiel
rtin -f ~/.newsrc2
Fuer Visinfo-Leser duerfte noch interessant sein, dass auf auf dem
Newsserver vis-next.iiic.ethz.ch alle Visinfo-Gruppen zum Lesen bereit
liegen. In's Visinfo schreiben kann man auf diese Art natuerlich
nicht, aber immerhin kann man die dortigen Texte so bequemer und ohne
EzInfo weiter zu belasten lesen.
Um sich das ganze einfacher zu machen, legt man sich am besten fuer
jeden Newsserver ein kleines shell-script an. Fuer's Visinfo saehe das
dann etwa so aus:
#!/bin/csh
setenv NNTPSERVER vis-next.ethz.ch
tin -f ~/.vnewsrc
Dinosaurier im Usenet: Binaries
Daten im Usenet duerfen sich nur aus ASCII-Zeichen (7 Bit)
zusammensetzen. Damit man trotzdem Programme (die normalerweise alle 8
Bit ausnutzen) verschicken kann, werden sie speziel kodiert. Dies
geschieht mit dem UNIX-Komando "uuencode". Ein weiteres Problem sind
Newsserver oder Newsreader, die nur Artikel unter einer bestimmten
Maximalgroesse druchlassen. Deshalb muessen die kodierten Daten
zusaetzlich noch in kleinere Teile zerstueckelt werden (meist in der
Groessenordnung von etwa 50-60 Kilobytes). Alles von Hand wieder
zusammenzusetzen waere natuerlich recht muehsam, deshalb unterstuetzt
einem tin in dieser Taetigkeit recht angenehm. Will man ein codiertes
File aus einer Gruppe zurueckgewinnen, so geht man wie folgt vor:
- Man markiert die zusammengehoerenden Artikel (sie sind meistens
nummeriert) in der richtigen Reihenfolge mit 'T' oder 't', je nach
tin-Version.
- Dann speichert man sie mit 's' und gibt mit 'T' noch an, dass die
markierten Artikel gespeichert werden sollen (anstatt beispielsweise
der aktuelle Thread oder die weiter oben besprochenen automatisch
markierten Artikel). Der anzugebende Filename ist egal, er wird
sowieso nur temporaer benutzt.
- Zum Schluss laesst man die Artikel mit 'u' gleich durch
"uudecode" dekodieren.
Wenn tin fertig ist, fragt er einen noch, ob man die gespeicherten
Artikel, aus denen das kodierte File zusammengesetzt wurde, loeschen
will. Dies sollte man auch tun, da ansonsten nur nicht mehr
benoetigter Datenmuell anfaellt. Die dekodierten und wiedervereinigten
Binaerdaten befinden sich nun im Verzeichnis ~/News.
Demokratie in der Anarchie: Einrichten neuer Gruppen
Eigentlich gibt es im Usenet kein Gesetz, allerdings existieren einige
Regeln, an die man sich mehr oder weniger halten muss. Eine Ausnahme
bildet das Prozedere, mit dem neue Gruppen geschaffen werden: Es muss
aeusserst genau eingehalten werden. Als erstes ruft jemand, der eine
neue Gruppe einrichten moechte, mit einem "RFD" (Request For
Discussion) zur Diskussion ueber ihre Notwendigkeit und ihren Namen
auf. Der Aufruf selbst wird in news.announce.newgroups (und eventuell
einigen anderen mit der neuen Gruppe verwandten Gruppen) verschickt,
die Diskussion findet aber in news.groups statt. In einem RFD sollte
so genau wie moeglich drin stehen, worum es in der neuen Gruppe gehen
soll, wie ihr Name und die Beschreibung ist, ob sie moderiert sein
soll und wer der allfaellige Moderator waere. Falls es keine
nennenswerten Gruende gegen die Einrichtung der Gruppe gibt, dauert
die Diskussion 21 bis 30 Tage, ansonsten wird der RFD angepasst und
eine neue Diskussion gestartet. Danach kommt die Abstimmung, die durch
einen CFV ("Call For Votes") eingeleitet wird (es gibt zwei CVF pro
Abstimmung) und genau drei Wochen dauert. Teilnehmen kann jeder,
allerdings nur mit genau einer Stimme (man kann sie nachtraeglich noch
aendern, aber man darf nicht von mehreren Accounts aus
mailen). Abgestimmt wird per e-mail, wobei die Namen nachtraeglich
veroeffentlicht werden. Auf diese Art sollte es moeglich sein, einen
Betrug aufdecken zu koennen. Wer Abstimmungsbetrug begeht, wird
virtuell an den Pranger gestellt. Damit die neue Gruppe eingerichtet
werden kann, muss die Abstimmung mit 2/3 Ja und mindestens 100 mehr Ja
als Nein gewonnen werden. Werden diese Bedingungen nicht erfuellt,
darf fuer 6 Monate nicht mehr ueber das selbe Thema abgestimmt
werden. Gleich verfahren wird uebrigens bei Aenderung von bestehenden
Gruppen oder Gruppen-Hierarchien.
Anders ist es bei den alt.*-Gruppen: Hier kann jeder der will eine
neue Gruppe einfuehren. Theoretisch sollte man zwar zuerst abklaeren,
ob das Beduerftnis wirklich da ist, dies wird aber nicht immer
gemacht. Wie sonst koennten Gruppen wie "alt.duck.quack.quack.quack"
entstehen? Andererseits hat dieses Vorgehen auch Vorteile, da schnell
und ohne Umstaende Gruppen mit einem sehr aktuellen Thema (wie
"alt.current-events.kobe-quake") erstellt werden koennen.
So, das waere meine zweiteilige kurze Einfuehrung in's Usenet und den
Newsreader tin. Fuer Fragen und Kommentare (habe ich etwas wichtiges
vergessen?) stehe ich gerne zur Verfuegung.
Zum Abschluss eine zum Thema passende Weisheit:
"The Wittenberg church door was Usenet for Luther's community."
-- Nick Arnett
Felix Rauch (IIIC/6)
frauch@iiic.ethz.ch