Ich habe Ihren Artikel gelesen und bin erschüttert. Ein Magazin, das vorgibt Nachrichten zu liefern, macht sich in reisserischer und vereinfachender Art und Weise über das Internet her. Sicher ist die Pornographie auf den Datennetzwerken ein Problem und es ist nicht mein Wille, eine Rechtfertigung für unschöne Sachen, die darauf verbreitet werden, zu suchen oder zu geben. Gerade InformatikerInnen bekommen aber in der öffentlichkeit mehr und mehr ein schlechtes Image, weil sie in den Print-Medien zu einem überaus grossen Teil als Kriminelle (fälschlicherweise häufig als Hacker bezeichnet) und Lustmolche hingestellt werden. Ich will nicht leugnen, dass es auch solche NetzbenutzerInnen gibt, doch sind diese ein Problem unserer Gesellschaft und nicht des Netzes. In der Realität wird das Internet zum überwiegenden Teil anders genutzt:
Informationsbeschaffung in den verschiedensten Gebieten und auf diverse Arten, schneller Nachrichtenaustausch, Diskussionen (ernste und weniger ernste), immer häufiger zum Handel und natürlich auch für Spiel und Spass.
Im USENET, in dem laut Ihrem Artikel "vor allem über Sex" diskutiert wird, gibt es genau 172 von 6764 "Foren", in denen es um Sex oder Erotik geht (Stand: 13.5.1995, Newsserver news.eunet.ch). Das sind gerade einmal 2.5%. Noch mehr als "mehr als alles andere" gesucht sind Themen wie z.B.: Computer (14%), Fans von dies und jenem (6%), Musik und Sport (je rund 3.8%), Spiele (3%). Hinter dem Sex liegen die Themengebiete Kultur (2.4%), Politik (1.2%) und Religion (1.0%). Ein Grund hierfür ist auch darin zu sehen, dass sich die Sex-Foren in der Alt-Hierarchie befinden. Dort können neüe Newsgroups von jederperson ohne Abstimmung eingerichtet werden. Im übrigen Usenet geht es ziemlich demokratisch zu und her: Für die Einrichtung einer neuen Gruppe muss ein genau vorgeschriebenes Prozedere durchgangen werden, das schliesslich mit einer Abstimmung abgeschlossen wird. Ein gutes Beispiel eines funktionierenden selbstverwaltenden Systems und nicht wie von Ihnen beschrieben "pures Chaos und reine Anarchie".
Anstatt die verschiedenen Gruppen zu betrachten, kann man auch die Leser weltweit zählen. Laut einer Schätzung des "USENET Readership report for Mar 95" kommt man für Sex auf 3.1 Mio., für erotische Bilder auf 1.1 Mio. Alleine das Thema "Computersysteme" interessiert bereits 7.5 Mio. LeserInnen (für Computer ganz allgemein sind es über 30 Mio.). Zum Vergleich ein paar andere Themengebiete: Spiele 3.4 Mio, Kultur 3.3 Mio, Sport 2.4 Mio, Musik 1.9 Mio, PCs 1.8 Mio. Von wegen "vor allem über Sex" diskutieren...
Auch dass man einen "World Sex Guide" über das Internet beziehen kann, bezweifle ich nicht. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass man ähnliche Bücher auf herkömmliche Art und Weise per Post aus dem Ausland (oder auch aus dem Inland?) beziehen kann. Würden sie deshalb in Ihrem Magazin einen Titel schreiben wie "Auf der Post kommt einfach alles"? Sicher braucht es auch auf dem Internet einen Jugendschutz, andererseits denke ich, dass jemand, der solches Bild- oder Textmaterial wirklich sucht, auch auf andere Art und Weise daran kommt.
Die Art, wie Sie über ein Gebiet geschrieben haben, in welchem ich mich bestens auskenne, bringt mich zu der Vermutung, dass es mit der Ausgeglichenheit der Berichterstattung auch in anderen Bereichen nicht weit her ist. Oder versuchen Sie das Internet deshalb in Verruf zu bringen, weil Sie es als Konkurrenz im Markt der Informationsverbreitung fürchten? Ich komme nicht um den Verdacht herum, dass es Ihnen primär darum geht, mit grossen, "geilen" Schlagzeilen für den Absatz Ihres Magazins zu sorgen. Bei mir haben Sie dieses Ziel nur teilweise erreicht: Ich habe mir ein FACTS gekauft. Allerdings haben sie auch einen Kunden verloren, denn es war mein letztes.